Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Kämpfe, die um die ‹New York Times› geführt werden, auch die deutschen Medien erreichen
Christian Hoffmann
17.02.2021
NZZ
NZZ
Interview von Marc Felix Serrao
Schlägt das Journalistenherz links? Allerdings, sagt Christian Hoffmann.
Der Professor für Kommunikationsmanagement an der Universität Leipzig
plädiert dafür, die Schlagseite der Branche endlich anzuerkennen. Die
richtigen Aktivisten kämen jetzt erst in den Redaktionen an.
Die Kritik, die Konservative und Liberale in Deutschland ´am
öffentlichrechtlichen Rundfunk äussern, findet der Leipziger
Kommunikationswissenschafter Christian Hoffmann «nachvollziehbar».
Herr Professor Hoffmann, Sie haben soeben eine Analyse des
Journalistenberufs veröffentlicht. Dieser habe einen eindeutigen und
relevanten politischen «Linksbias», lautet Ihr Befund
Wie waren die Reaktionen aus der Branche?
Positiv. Manche waren überrascht von den Daten. Bisher hat aber noch
niemand die Analyse bestritten.
In der Vergangenheit gab es mitunter heftige Abwehrreaktionen, wenn
jemand geschrieben hat, dass die Mehrheit der Journalisten politisch
links stehe. Wie erklären Sie sich, dass das in Ihrem Fall bisher nicht
passiert ist? Sind Ihre Belege zu zahlreich?
Ich vermute, es liegt an der notwendigen Differenzierung. Wenn wir über
politischen Bias sprechen, müssen wir verschiedene Schritte
unterscheiden. Da ist, erstens, der Input, also die politischen
Haltungen von Journalisten. Das Zweite ist der Output, also die
journalistischen Produkte. Und der dritte Schritt ist die Rezeption: Wie
werden Journalisten und ihre Produkte vom Publikum wahrgenommen? Ich
argumentiere, dass die Datenlage in zwei Schritten – Input und Rezeption
– eindeutig ist.
Eine deutliche Mehrzahl der Journalisten ist links der Mitte
positioniert, und beim Publikum wird diese Haltung durch eine
entsprechende asymmetrische Unzufriedenheit gespiegelt. Das heisst, auf
der politischen Rechten ist die Unzufriedenheit mit dem massenmedialen
Angebot deutlich grösser als links der Mitte. Interessant ist der
Output. Da ist die Datenlage nicht so eindeutig.
Es gibt Studien, die einen linken, im Englischen würde man sagen
«liberal» Bias zeigen. Aber es gibt auch Analysen, die das nicht
feststellen. Diese werden von denjenigen, die einen linken Bias
ausschliessen, stets in den Mittelpunkt gestellt, um so die ganze
Debatte als Scheindebatte zu disqualifizieren. Da wird dann
argumentiert, dass die Einstellungen von Journalisten eine
Nebensächlichkeit seien, die bei der Arbeit keine Rolle spielten und in
den Produkten nicht sichtbar würden.
Was sagen Sie?
Die Datenlage ist, wie gesagt, nicht ganz so eindeutig. Aber es gibt
meines Erachtens doch genug Evidenz, dass man auch hier von einem linken
Bias sprechen kann.
Eine von Ihnen zitierte Inhaltsanalyse aus den USA kommt zu einem, wie
Sie schreiben, markanten Ergebnis: Fast alle amerikanischen Massenmedien
stünden gemessen an ihrer Berichterstattung links der Mitte, von CNN
über die «New York Times» bis zu NPR. Kennen Sie eine vergleichbare
Studie für den deutschsprachigen Raum?
In der Form nicht. Man muss dazu sagen, dass die Analyse von einem
Think-Tank stammt, Ad Fontes Media. Das ist keine wissenschaftliche Arbeit.
Trotzdem zitieren Sie daraus.
Weil das keine konservative Kampforganisation, sondern ein unabhängiger
Think-Tank ist. Die Arbeit wirkt seriös, die Methodik wurde offengelegt,
und es gibt wissenschaftliche Studien, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen.
«Dass eine Mehrheit der deutschen Journalisten Rot-Rot-Grün
präferiert, ist nicht überraschend. Das haben auch frühere
Befragungen gezeigt. Aber in dieser Eindeutigkeit ist das schon
bemerkenswert.»
Ein Bericht, der im vergangenen Jahr in Deutschland für Aufregung
gesorgt hat, drehte sich um die Volontäre der ARD. 57 Prozent von ihnen
würden laut einer Umfrage die Grünen wählen und 23 Prozent die
Linkspartei. Union und FDP kämen zusammen auf etwa vier Prozent.
Haben Sie diese Werte überrascht?
Dass eine Mehrheit der deutschen Journalisten Rot-Rot-Grün präferiert,
ist nicht überraschend. Das haben auch frühere Befragungen gezeigt. Aber
in dieser Eindeutigkeit ist das schon bemerkenswert, vor allem die
starke Verschiebung hin zu den Grünen.
Würde eine Befragung älterer Mitarbeiter der ARD ein signifikant anderes
Bild ergeben?
Im Sinne der statistischen Signifikanz wahrscheinlich schon, aber im
umgangssprachlichen Sinne vermutlich nicht. Auch unter älteren
ARD-Mitarbeitern würde man eine linke Mehrheit feststellen.
In Ihrer Analyse nennen Sie mehrere mögliche Ursachen für den
journalistischen Bias, nicht nur im öffentlichrechtlichen Rundfunk.
Welche Ursache ist die wichtigste?
Ein zentraler Faktor ist sicher die Akademisierung des Berufsfelds.
Akademiker stehen mehrheitlich links der gesellschaftlichen Mitte. Ein
weiterer Faktor ist die ökonomische Krise des Journalismus. Für
Konservative und Liberale sind materielle Motive bei der Berufswahl
wichtiger als für Linke.
Ein weiterer Aspekt ist laut Ihnen die «Kritik an den Mächtigen». Diese
passe als journalistische Berufsnorm am ehesten zu einer linken
Einstellung. Stimmt das wirklich? Müssten Journalisten nach dieser Norm
nicht dort, wo linke Positionen den öffentlichen Raum dominieren, zum
Ausgleich konservative oder liberale Standpunkte vertreten?
Was ist Macht, und wo wird sie verortet? Das ist eine Grundfrage unserer
Zeit. Ich glaube, die Differenzierung zwischen ökonomischer, politischer
und kultureller Macht ist hier sehr wichtig. Wenn die klassische Linke
an Macht denkt, handelt es sich in der Regel um ökonomische und
politische Macht. In dieser Perspektive ist man kritisch, wenn man
grosse Unternehmen und politische Entscheidungsträger kritisiert. Den
Faktor kulturelle Macht blendet man dabei gerne aus. Wenn man das nicht
tut und Kultureinrichtungen, Universitäten und eben auch Medien in den
Blick nimmt, dann kann man mit Fug und Recht von Machtzentren sprechen,
die politisch links der Mitte verortet sind. Und wenn man kritisch
gegenüber kultureller Macht sein wollte, dann würde man dies sicher
nicht aus einer primär linken Perspektive sein.
Dafür müsste man besagte kulturelle Machtverhältnisse aber erst einmal
anerkennen.
Stimmt. Denken Sie an die Debatte über Cancel-Culture. Die politische
Linke weigert sich, anzuerkennen, dass dieses Phänomen überhaupt
existieren könnte, weil sie die zugrunde liegenden Machtverhältnisse
nicht anerkennen will oder kann.
Sollte man bei der Bewertung medialer Machtverhältnisse zwischen
öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten und privaten Medien
unterscheiden? Für Letztere kann ich Geld ausgeben, Erstere muss ich
finanzieren – auch dann, wenn ich einen linken Bias in der
Berichterstattung feststelle und ablehne.
Das ist keine empirische, sondern eine normative Frage.
Und wie lautet Ihre Antwort?
Die Kritik, die Konservative und Liberale am öffentlichrechtlichen
Rundfunk äussern, ist nachvollziehbar. Ein von allen gemeinsam
finanziertes Medienangebot sollte die ganze Breite politischer Ansichten
repräsentieren. Und wenn man sich eine Befragung wie die der
ARD-Volontäre anschaut, dann stehen die Anstalten vor einer doppelten
Herausforderung: Es gibt es den Anspruch des Publikums auf eine
ausgewogene Berichterstattung, und es gibt Journalisten, die selbst noch
einmal links der ohnehin eher linken journalistischen Mitte stehen. Ich
glaube auch, dass der deutsche öffentlichrechtliche Rundfunk bei der
Adressierung dieses Problems dem europäischen Ausland hinterherhinkt. In
Skandinavien oder in Grossbritannien wird beispielsweise sehr intensiv
darüber nachgedacht, wie man konservative und liberale Positionen in den
Programmen berücksichtigen kann. Diese Debatte findet bei uns bis jetzt
nicht statt.
«Wenn man im Journalismus mehr Geld verdienen könnte, dann würde das
Berufsfeld auch attraktiver werden für Menschen mit einer
bürgerlichen politischen Ausrichtung.»
Der Schlüssel für mehr Pluralismus dürfte die Personalauswahl sein,
nicht nur bei ARD und ZDF. Christoph Kucklick, der Leiter der
Henri-Nannen-Schule in Hamburg, hat Ihre Arbeit bereits als
«überzeugende Indiziensammlung» gelobt. Aber was folgt daraus? Die
Absolventen der deutschen Journalistenschulen sind handwerklich in der
Regel sehr gut ausgebildet, aber sie sind nicht für weltanschauliche
Vielfalt bekannt.
Die Journalistenschulen erleben den gleichen Selbstselektionseffekt, den
die ganze Branche erlebt. Über die Frage, wer heute noch Journalist
werden möchte, haben wir ja schon gesprochen. Wenn ein konservativ oder
klassisch liberal denkender Mensch in ein solches Umfeld kommt, wird er
schnell merken, dass er Aussenseiterpositionen vertritt. Das macht die
Arbeit nicht angenehmer und kann Opt-out-Effekte zur Folge haben, die
dann zu einer noch stärkeren Homogenisierung führen. Es ist ein Dilemma.
Auch diejenigen, die das Problem erkannt haben, können sich ihre
Bewerber nicht backen. Sie können Konservative und Liberale ja nicht
zwingen, Journalist zu werden. Sie müssen mit dem Personalangebot
arbeiten, das da ist.
Das klingt so, als liesse sich die Schieflage nicht korrigieren.
Vor dem Hintergrund der Studien, die ich kenne, würde ich sagen: Die
Arbeitsbedingungen müssten besser werden. Wenn man im Journalismus mehr
Geld verdienen könnte, dann würde das Berufsfeld auch attraktiver werden
für Menschen mit einer bürgerlichen politischen Ausrichtung.
Das ist angesichts sinkender Auflagen und Werbeerlöse . . .
. . . eine unrealistische Vorstellung, ich weiss.
Lassen Sie uns den Blick noch einmal auf die USA werfen. Die «New York
Times» galt dort lange unangefochten als qualitatives Leitmedium. Doch
inzwischen werfen immer mehr Kritiker dem Blatt eine aktivistische
Agenda vor. Ben Smith, ein Kolumnist der Zeitung, warnte kürzlich davor,
sich auf einer immer engeren linken Spur in eine amerikanische Version
des britischen «Guardian» zu verwandeln.
Schätzen Sie die Entwicklung ähnlich ein?
Mein Eindruck ist, dass die jüngeren, aktivistischen Journalisten bei
der «New York Times» in den vergangenen Jahren Oberwasser bekommen
haben. Es dürfte sehr schwierig, wenn nicht unmöglich werden, das wieder
einzufangen. Aber mit dem Problem ist die Zeitung nicht allein. Ich lese
oft, dass die Trump-Präsidentschaft zu einer Blüte des amerikanischen
Journalismus geführt habe. Mein Eindruck ist das Gegenteil. Der
amerikanische Journalismus ist in den vergangenen Jahren in weiten
Teilen als politische Opposition aufgetreten. Das hat die
Homogenisierungstendenzen im Berufsfeld nicht nur verstärkt, sondern
regelrecht entfesselt. Klassische Sicherheitsmechanismen sind
ausgeschaltet worden, etwa die Regel, beide Seiten anzuhören. Das
Phänomen Trump wurde von vielen als etwas so Anstössiges wahrgenommen,
dass jeder Versuch, die Regierung auch nur punktuell zu verteidigen, als
verwerflich galt.
Sind die journalistischen Aktivisten auch in Europa auf dem Vormarsch?
Ich kenne dazu noch keine Studie, aber ich würde vermuten, dass sich
hier ein ähnlicher Generationenkonflikt anbahnt. Die angelsächsischen
Länder sind uns in dieser Hinsicht ein paar Jahre voraus, weil sich die
zugrunde liegenden postmodernen Denkschulen, etwa «Critical Social
Justice», dort schon früher an den Hochschulen etablieren konnten.
Inzwischen sind sie aber auch hier angekommen und dienen den Absolventen
als ideologisches Rüstzeug. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die
Kämpfe, die jetzt um die «New York Times» geführt werden, auch die
deutschen Medien erreichen.
Zur Person
Christian Hoffmann, 42, ist Professor für Kommunikationsmanagement an
der Universität Leipzig. Der gebürtige Stuttgarter hat
Betriebswirtschaftslehre und Politikwissenschaft studiert und lehrt
heute unter anderem an der Universität St. Gallen sowie der Hochschule
für Wirtschaft Zürich. Schweizerdeutsch spricht er zu seinem Bedauern
«bestenfalls gebrochen».
37 Kommentare
Engelbert Gartner
vor etwa 2 Stunden
33 Empfehlungen
Daß bei den Journalisten, besonders in Deutschland, die
Berichterstattung links ist, ist der Grund, weshalb ich, obwohl ich in
Deutschland lebe, die NNZ abonniert habe. Die 4. Macht in unserem
Staat ist zur einer Hofberichtserstattung verkommen. Einer der Gründe,
weshalb die Grünen in Deutschland immer stärker werden. Selbst die CDU
hat diesen Trend erkannt und ist heute deutlich weiter links als die SPD
in Ihren Hochzeiten. Der Einfluß der Medien ist unheimlich stark, genau
wie die Leichtgläubigkeit der Menschen. ( nicht nur bei uns ).
Hannes Reinhold
vor etwa 2 Stunden
27 Empfehlungen
Ein interessanter Artikel, der meine Beobachtung bestätigt. Und auch die
Ursache benennt, warum ich die NZZ abonniert habe. Nebenbei lese ich
auch das Online Angebot der Tagesschau (ARD) und gerade dort fällt es
öfters aus, das gegenseitige Positionen nicht erwähnt werden und ein
suggestiver Wortschatz genutzt wurde. So wurden während des Arabischen
Frühlings die offiziellen Präsidenten über Nacht zu "Machthabern" und so
die Legitimation der Herren herabgesetzt. Andere für mich wichtige
politische Themen, beispielsweise der Berg-Karabach-Krieg letztes Jahr,
wurden fast gar nicht abgebildet. All das hat mein Vertrauen in unsere
Medien gemindert. Eine neutrale Zeitung habe ich in Deutschland nicht
gefunden.